WirtschaftsWoche – Mitwisser im Büro: Was offen geführte Kalender bringen
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Wenn Kollegen ihre Kalender teilen, sparen sie Zeit und Arbeit. Sagen die einen. Doch die gute Idee kann sich ins Gegenteil verkehren.
„Montag um 13 Uhr hast Du doch noch Zeit“, erklärt die Nachhaltigkeitsmanagerin am Nachbartisch ihrem Gegenüber auf dem Computerbildschirm. „Ach nee, dann ist Franca schon im Urlaub.“ Solche Sätze gehören inzwischen zum alltäglichen Austausch im Büro. Kolleginnen, die vollen Zugriff auf die digitalen Kalender ihrer Kollegen haben – und andersherum. In der Pandemie, wo formelle Absprachen notgedrungen häufiger, aber auch komplizierter wurden, hat sich das durchgesetzt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer nicht mit dem Team in einem Gebäude, geschweige denn in einem Raum sitzt, weiß trotzdem jederzeit, woran die anderen arbeiten, ob sie gerade beschäftigt sind. Einblicke, die man sonst nur auf der Tonspur im Büro mitkriegen würde.
Im besten Fall macht der Einblick in die Planung der Kollegen Abläufe effizienter. Wenn zwei Mitarbeiterinnen merken, dass drei andere gleich schon über ein Thema sprechen, welches sie selbst für übermorgen anberaumt haben, legen sie den Termin und damit die Aufgaben kurzerhand zusammen. Das spart Zeit, unnötige Abstimmungsrunden und doppelte Arbeit. Gemeinsame Termine und Kanäle beispielsweise im Digitaltool Teams sorgten außerdem für Struktur und Ordnung, meint Marcel Miller, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Büro-Kaizen, der viele Unternehmen bei der Einführung von Microsoft Teams begleitet hat. „Besprechungsaufzeichnungen, geteilte Dateien und Chatverlauf werden im Kanal gespeichert, im selben Kanal wie der Kanalkalender.“
Es gibt unzählige Optionen für geteilte Kalender. Die Berechtigungen variieren, Outlook kann bestimmte Kollegen ein-, andere ausschließen. Manche sehen alle Details eines anberaumten Meetings, manche nur den Titel des Termins.
Wie hoch die Arbeitsbelastung ist, lässt sich indes nicht unbedingt daran ablesen, wie voll ein Tag auf Outlook ist. Oft ist weniger mehr. Manchmal haben viele Worte ganz wenig Substanz. Die Arbeitswelt kennt dafür den wunderbaren Begriff Meetingtourismus. Manch einer „ballert sich den Kalender voll, um als beschäftigt zu gelten“, sagt die Nachhaltigkeitsmanagerin im Coworking Space, gefragt, was sie denn davon halte. Sie hält viel davon, schätzt die Offenheit und den Überblick. Bewusst eingestellte längere Arbeitsblöcke, in denen jemand für sich arbeiten wolle, könnten auch so formuliert sein, dass jeder wisse: Lasst mich jetzt mal einige Zeit in Ruhe.
Die Kehrseite der offenen Kalender
Höhere Transparenz und Sichtbarkeit erzeugen für manche allerdings auch Druck. Vorgesetzte wissen theoretisch jederzeit über das (vermeintliche) Arbeitspensum der Teammitglieder Bescheid. Deswegen und aus rechtlichen Gründen müsse es stets jedem selbst überlassen bleiben, ob und wie sehr er seinen Kalender teile. „Wichtig“, erklärt Berater Miller, „sind Spielregeln, die alle mittragen, weil sie sinnvoll sind. Solche Dinge sollen in einer Abteilung gemeinsam besprochen werden und nicht zentral über die Köpfe hinweg entschieden werden.“
So handhabt es etwa auch der Leverkusener Chemiekonzern Covestro. Die Entscheidung, „wer welchen Zugang gibt“, falle auf Teamebene, berichtet eine Sprecherin. „Und jeder bestimmt in der Regel selbst.“ Von unerwünschten Nebenwirkungen will Miller nichts hören. Die Gefahr einer Überwachung sieht er nicht. Der geteilte Kalender habe „keine Nachteile, wenn man persönliche und gemeinsame Termine trennt, sondern nur Vorteile“. Millers Erfahrung nach können die Vorgesetzten für gewöhnlich nur sehen, ob der Mitarbeiter „frei“ oder „gebucht“ ist, „keinen Betreff oder Ort. Das ist auch sinnvoll, denn so kann man bei Besprechungseinladungen ein freies Zeitfenster bei den Kollegen finden.“
Das funktioniert auch mit externen Gesprächspartnern über Apps wie Calendly oder Time Tree. Eine Partei stellt dafür seine verfügbaren Zeiten zur Verfügung, indem sie etwa schreibt: „Sie können sich über diesen Link einen Slot in meinem Kalender buchen.“
Marcel Miller sagt, er lebe Kalendertransparenz auch selbst vor. Seine Termine seien „für alle Kollegen im Unternehmen komplett freigeschaltet“. Schließlich kann es auch für die Mitarbeitenden sinnvoll sein, zu wissen, woran der Chef gerade arbeitet oder wie stark er sich mit einem Thema beschäftigt hat, um das es im nächsten Treffen gehen wird. So weiß der Kollege im Idealfall, welches Wissen er beim Chef voraussetzen kann. „Ich bin froh, wenn die Kollegen in meinen Kalender schauen, weil das den Kommunikationsaufwand reduziert“, erklärt der Geschäftsführer. Das bedeute nicht, dass er diese Offenheit von allen erwarte, „ich will aber als Vorbild vorangehen.“
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