Südwest-Presse – Bevor der Schreibtisch Angst macht

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Ein Schreibtisch, auf dem das Chaos herrscht und der Angstzustände auslöst, muss nicht sein. Ordnung halten kann jeder, davon ist Experte Jürgen Kurz überzeugt. Profi-Aufräumer verrät, wie das Chaos am Arbeitsplatz in wenigen Schritten zu besiegen ist.

„Mir geht es nicht um Sterilität am Arbeitsplatz“, sagt Jürgen Kurz, der Firmen berät, wie Chefs und Mitarbeiter das Chaos auf ihren Schreibtischen dauerhaft beseitigen. Er will Papierstapel verbannen, nicht das Familienfoto.


Wie sah der chaotischste Arbeitsplatz aus, den Sie gesehen haben, und ist sein Besitzer heute kuriert?

JÜRGEN KURZ: Das war ein Büro, etwa 30 Quadratmeter groß, und auf dem Fußboden lagen nur Papierstapel. Der Weg von der Tür zum Schreibtisch, der ganz hinten stand, war gerade noch so 15 Zentimeter breit. Dem Chef der Firma gehörte das Büro. Helfen konnte ich nur seinen Mitarbeitern. Ich komme immer wieder an meine Grenzen bei Menschen, die unter dem Krankheitsbild Messi leiden. Denen kann man nicht mit konventionellen Aufräumtechniken helfen.

Wie lautet ihr Rezept für einen dauerhaft aufgeräumten Schreibtisch?

KURZ: Ein Spruch von mir heißt: „Wenn Sie allen Dingen eine Heimat geben, dann kann nichts mehr herumliegen.“ Und deshalb teile ich einfach einen Arbeitsplatz in Bereiche auf und gebe jedem eine eigene Funktion – damit es am Ende genau so leicht ist, den Schreibtisch aufgeräumt zu halten, wie die Besteckschublade in der Küche. Bei der ist ja auch jedem klar, wo das Messer hinkommt und wo er die Gabel findet, wenn er sie braucht.

In der Besteckschublade gibt es vier Fächer für Messer, Gabel Ess- und Teelöffel. Wie Machen Sie das beim Arbeitsplatz?

KURZ: Ich teile den Arbeitsplatz in sieben Bereiche auf. Der erste ist der Posteingang. Denn klassisch ist es so: Ein Kollege hat was für einen und legt die Post mitten auf den Schreitisch. Um das zu verhindern, stellt man einfach eine Ablageschale auf den Tisch, schreibt „Posteingang“ darauf und bittet die Kollegen, jede Art Post dort rein zu legen. Dann kann zwar die Ablage voll sein, wenn man von einem Termin zurück in das Büro kommt, aber der Tisch bleibt frei und man kann sofort wieder arbeiten. Den Posteingang kann man nach und nach bearbeiten. Gleiches gilt für E-Mails. Da empfehle ich auch, E-Mails nur von Zeit zu Zeit zu bearbeiten und nicht sofort, wenn sie kommen.

Was ist der zweite Bereich?

KURZ: Er bezieht sich auf wichtige Informationen: Oft kommt man in Büros rein, und dann hängen die Wände voll mit Zetteln, mit den Telefonlisten, den Kostenstellenplänen und den Urlaubslisten. Hier würde ich mir ein Foliensichtbuch kaufen, mit Folien füllen, die Informationen einsortieren und das Ganze dann in einer Schublade oder einem Rollcontainer ablegen.

Dritter Bereich?

KURZ: Er umfasst Projekte, die eine Angestellt alleine bearbeitet. Nehmen wir unser Interview als Beispiel. Sie haben sich im Vorfeld über mich informiert, Internetartikel ausgedruckt, Notizen auf einem Zettel gemacht. Wohin jetzt mit dem Material? Die meisten Menschen legen das in die Ablage, damit man es sieht und nicht vergisst. Da kann aber schnell mal etwas durcheinander geraten, oder man vergisst manche Notiz gleich ganz. Ich würde stattdessen einen Pultordner nehmen, den kann man auseinanderziehen wie eine Ziehharmonika und der ist von 1 bis 31 durchnummeriert. Dann legen sie alles Material zu „Kurz“ in Nummer 1, das Material für ein anderes Projekt, sagen wir Stuttgart 21 in Nummer 2 und so weiter. Und jetzt müssen sie, das ist wichtig, auf einem Zettel einfach ein Inhaltsverzeichnis notieren, also 1. Kurz, 2. S21, ... Ich verspreche Ihnen, so suchen sie nie wieder etwas.

Vierter?

KURZ: Er ist reserviert für Projekte an denen mehrere Arbeiten – zum Beispiel ein Kundenauftrag, der Produktions- wie Versandmitarbeiter tangiert. Da ist das Wichtigste, dass sich die Beteiligten einmal kurz zusammensetzen und sagen, wo man das ganze Material zu diesem Auftrag ablegt und findet. Zum Beispiel in einem Schrank mit Hängeregister oder einem Computer-Ordner. Die Hauptsache ist hier, dass jeder informiert ist.

Nummer fünf?

KURZ: Hier geht es um die Unterlagen zum Lesen. Nehmen wir an, Sie heben sich interessante Zeitungsartikel auf, um sie zu lesen, wenn Sie mal Zeit haben. Die meisten legen das auf den Schreibtisch und dieser Stapel wächst und wächst dann. Mein Tipp: Leben Sie es in ein etwa 20 Zentimeter hohes Regal in Ihrem Schrank, und wenn Sie dann da nichts mehr reinquetschen können, nehmen sie einfach die untere Hälfte des Stapels und schmeißen Sie sie ungesehen weg. Weil, seien Sie realistisch, Sie wären ja doch nie mehr dazu gekommen, das zu lesen.

Was ist der sechste Bereich?

KURZ: In ihm finden Büroutensilien wie Locher und Büroklammern eine Heimat – zum Beispiel in der Schublade oder im Rollcontainer.

Und der letzte?

KURZ: Heißt: Termine und Aufgabenverwaltung. Nehmen wir dafür noch einmal unser Interview als Beispiel. Unseren Gesprächstermin tragen Sie einfach im Kalender oder Outlook ein, Mittwoch 13 Uhr, Jürgen Kurz. Und dahinter schreiben Sie in Klammern eine 1. Dann wissen Sie sofort, wenn der Termin ansteht: Alles Nötige zur Vorbereitung auf dieses Gespräch finde ich in meinem Pultordner unter 1.

„LEERTISCHLER SIND EFFIZIENTER ALS VOLLTISCHLER“

Was nützt es es, Ordnung zu halten?

KURZ: Meine Ausgangsthese ist, dass Leertischler effizienter sind als Volltischler. Wenn nur eine Akte auf Ihrem Schreibtisch liegt, können Sie sich voll auf diese konzentrieren und entspannter arbeiten. Dadurch sind Sie schneller und machen weniger Fehler. Den nutzen davon haben der Kunde, die Firma und Sie, weil Sie vielleicht früher nach Hause kommen, Überstunden abbauen oder neue Aufgaben übernehmen können. Verstehen Sie mich nicht falsch. Mir geht es nicht um Sterilität. Ich will nicht das Familienfoto vom Schreibtisch verbannen – nur den Papierstapel. Und die sind ja wirklich nicht besonders attraktiv, oder?


Andreas Clasen