io management – Kaizen bringt auch im Büro Erfolg

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Um effizienter zu arbeiten, hat eine SBB-Abteilung Kaizen im Büro eingeführt. Das Ergebnis: Unterlagen werden schneller gefunden und die Angestellten sind zufriedener.


Die Unterlagen von Kunde Müller liegen ausgebreitet auf dem Schreibtisch. Das Telefon klingelt – Kunde Meier benötigt dringend Informationen. Nach einer kurzen Suche im Ablagestapel links ist auch diese Akte zur Hand. Kurz danach steht der Chef in der Tür und fragt, wie denn die Kostenrechnung bei Herrn Schulze aussehe. Schon ist das Chaos auf dem Schreibtisch perfekt.

Fraunhofer-Forscher haben herausgefunden, dass Büroarbeiter bis zu 70 Tagen pro Jahr mit Aufräumen und Suchen verbringen. Eine Studie des Stuttgarter Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) ergab: Fast zehn Prozent der Zeit vergeuden Sekretärinnen, Call-Center-Agenten, aber auch Chefs und Ingenieure damit, überflüssige oder fehlende Arbeitsmaterialien zu suchen oder das richtige Dokument im chaotischen Dateiverzeichnis zu finden.

Effizienz um bis zu 20 Prozent steigern

Während in der Produktion schon länger lean und effizient gearbeitet wird, sind Prozesse in Unternehmensverwaltung wenig aufeinander abgestimmt. Jeder Mitarbeitende versucht mit eigenen Methoden, die Papierberge zu beherrschen. Dem wirkt Jürgen Kurz, Geschäftsführer von Tempus-Consulting und Bestsellerautor entgegen: mit Büro-Kaizen, das die Effizienz um bis zu 20 Prozent steigern soll.

Das hat SBB-Projektleiter Ahmet Okluoglu, Maschinen-Mechaniker, Betriebswirtschafter und Kaizen- und Prozessmanagement-Spezialist überzeugt. Er führte die Methode in der neuen Abteilung Rollmaterial-Management ein. Die 150 Mitarbeiter sorgen dafür, dass Züge gekauft, gewartet und Instand gehalten werden. Die Herausforderung: Die Abteilung zeichnet sich durch hohe Arbeitsteilung aus – viele Mitarbeitende leiten einen eigenen Technikbereich –, womit nur wenige Schnittstellen und Kooperationen am Standort existieren. Gleichzeitig ist die Abteilung an verschiedenen Standorten tätig. Die Mitarbeitenden müssen sich Schreibtische mit anderen teilen.

Okluoglu ging für dieses Projekt auf Jürgen Kurz zu. Dieser präsentiert keine fertigen Lösungen, sondern zeigt Wege, wie die Mitarbeitenden gemeinsame Spielregeln entwickeln und kontinuierlich verbessern können. Denn dauerhafte Veränderungen funktionieren nur, wenn die Mitarbeitenden den Nutzen für ihre tägliche Arbeit erkennen.

Weil niemand die Tücken des Arbeitsplatzes besser kennt als die Mitarbeitenden selbst, wurde jeder Arbeitsplatz zusammen mit den SBBlern fotografiert und die konkreten Probleme, wie undurchschaubare Aktenablage oder unpraktische Ordnungssysteme, besprochen.

Wie die Mitarbeitenden die laufenden Projekte im Blick behalten, hat keine Priorität: ob digital im PC, auf dem Papier in Hängeregistern oder mittels einer Mischung. Entscheidend ist vielmehr, dass das Team eine gemeinsame Entscheidung trifft und sich daran hält. Entsprechend lebhaft sind die Diskussionen der Kleinteams über Für und Wider einer Ablagesystematik. Ist eine Lösung gefunden, ist sie nicht unantastbar. Sie muss sich erst in der Praxis bewähren. Ein Tagesordnungspunkt der regelmäßigen Teamsitzungen des Rollmaterial-Managements ist deshalb inzwischen Büro-Kaizen. So werden die Ordnung der Schreibtische und die Effizienz der Arbeitsabläufe kontinuierlich verbessert.

Alle Mitarbeitenden einbinden

Mit allzu großen Widerständen musste Ahmed Okluoglu nicht kämpfen. Jeder Teilnehmer spürte den Nutzen schnell. Zum Beispiel durch eine Outlook-Schulung, die Alltagsprobleme gelöst hat: Termine werden nicht mehr übersehen, Dinge gehen schneller von der Hand, Dokumente werden beim ersten Zugriff gefunden und insgesamt wird Zeit gespart. Dadurch werden die Arbeit und die Stimmung in der Abteilung entspannter. Trotzdem ist Widerstand in der Regel zu erwarten, denn die Mitarbeitenden haben die Befürchtung, bisher alles schlecht gemacht zu haben. Genau an diesem Punkt setzt Sebastian Schiegl an. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich der Geschäftsführer der Schiegl GmbH mit Veränderungsprozessen und Prozessoptimierungen. „Oft stehen alt gediente Mitarbeitende und erfahrene Führungskräfte Veränderungen zunächst skeptisch gegenüber“, meint er. Viele können sich einen anderen Ablauf nicht vorstellen oder glauben nicht an eine erfolgreiche Umsetzung. Deshalb bindet Schiegl jeden Mitarbeitenden ein – vom Geschäftsführer bis zum Produktionshelfer, von der Administration bis zur Produktion. Denn die Ängste und Verunsicherungen, die durch die von Lean Management ausgelösten Veränderungsprozesse entstehen, sind in Produktionsabteilungen schon lange bekannt.

Seit 2005 arbeitet Schiegl in den Werken von Würth Elektronik, einem führenden europäischen Leiterplattenproduzenten, und entwickelte mit den Verantwortlichen das Management- und Produktionssystem Qool. Dieses beinhaltet praxisorientierte Instrumente zur Messung, Visualisierung und Verbesserung der relevanten Kennzahlen und ist damit ein Cockpit für die Unternehmensführung. Wie Kurz geht auch Schiegl an die Arbeitsplätze, arbeitet in allen Schichten mit und entwickelt zusammen mit den Mitarbeitenden und Teamleitern zweckmäßigere Arbeitsabläufe, die dann konsequent umgesetzt werden.

Mit dem Qool-System steigerte Würth Elektronik seine Produktivität im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2009 um einen Viertel. Ein Erfolgsfaktor war die Umstellung der internen Logistik, worauf alle Fertigungsbereiche mehr produzierten. Für volle Transparenz visualisiert die Belegschaft alle Produktionskennzahlen vor Ort. Zusätzlich installierte Schiegl in ausgewählten Abteilungen sogenannte Qool-Boards, an denen die Mitarbeitenden Schichtleistung, Störungen und mögliche Lösungsvorschläge eintragen. Grafisch erkennen die Beteiligten sofort die Prioritäten. Entscheidend ist, dass die Punkte mit höchsten Priorität tatsächlich umgesetzt werden. Deshalb werden sie mit Verantwortlichen und festgelegtem Termin dokumentiert. „So weiß jeder, was mit seinen Informationen passiert und wie der Umsetzungsstand ist“, beschreibt der Lean-Manager. Außerdem sehe er schneller, wo er Dankeschön sagen oder Hilfe anbieten könne. „Voraussetzung für den Erfolg von Change-Projekten und Prozessveränderungen ist die Unterstützung von ganz oben“, weiß Schiegl aus den Erfahrungen vieler Projekte.

Der Autor
Jens Gieseler ist freier Journalist.
jens.gieseler@z.zgs.de