mnews – Die digitale Arbeitswelt macht Beschäftigte krank

Hier geht’s zur PDF-Datei.

Der zunehmende IT-Einsatz erhöht laut neuen Studien den Stress der Menschen. Dadurch sinkt ihre Produktivität.

Ständige Erreichbarkeit ist mittlerweile in fast alle Bereiche des Lebens vorgedrungen. Es vergeht kein Tag, an dem nicht zahlreiche Anrufe, Nachrichten oder E-Mails eintrudeln und die Aufmerksamkeit verlangen. Diese Dauerberieselung mit Informationen hat zunehmend ihre Schattenseiten, wie nun auch das Meinungsforschungsinstitut Marketagent.com in einer repräsentativen herausgefunden hat: Über 70% der Österreicher fühlen sich von Informationen überflutet – im Privat- wie Berufsleben. Im Zuge dessen verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben immer mehr, sagen 74% der Befragten.

Nach der Arbeit erreichbar
Jeder zweite befragte Büroangestellte kann nach Dienstschluss nicht abschalten und gibt an, mindestens einmal pro Woche nach der Arbeit noch erreichbar zu sein. Zwar werden im Mittel nur 38 E-Mails pro Tag erhalten, jedoch sind sich die Befragten sicher, die Mehrheit der beruflichen Mails bedürfe unbedingt persönlicher Bearbeitung (56%). Interessantes Detail in diesem Zusammenhang: Treffen neue E-Mails im Posteingang ein, klicken immerhin 23% sofort auf die Benachrichtigung. Gründe für den Drang nach permanenter Informationsaufnahme könnten im Verständnis der modernen Arbeitswelt liegen. Mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen (94%) sowie ein steigender Grad an Komplexität gehören im Job für die Mehrheit zur Norm (93%), fasst Thomas Schwabl, Geschäftsführer von Marketagent.com, zusammen. Ebenfalls hohe Zustimmung fanden die ständige Erreichbarkeit (81%) und die Veränderung als fixer Bestandteil der heutigen Arbeitswelt (82%) bei den Befragten. Die Folge: Stress (49%), Müdigkeit (48%) und Reizbarkeit (47%) zählen zu den am häufigsten wahrgenommenen Symptomen.

Abgrenzung schwierig
Die Umfrage bestätigt auch eine andere neue Untersuchung der Technischen Universität Wien und der Arbeiterkammer Niederösterreich, die zum Ergebnis kommt, dass das Smartphone die Abgrenzung von Beruf und Privatleben erschwert. Demnach schauten Teilnehmer der Studie durchschnittlich 84 Mal pro Tag auf ihr Handy.

Die Wissenschafter haben von rund 150 Studienteilnehmern einerseits Fragebögen und Kurztagebucheinträge ausgewertet. Andererseits wurde von der Forschungsgruppe Industrial Software der TU Wien eine App entwickelt, die automatisch deren Smartphone-Nutzungsdaten aufzeichnet. Indem die Experten zwei Arten von Datensätzen kombinierten, konnten sie überprüfen, ob die Eigeneinschätzung mit dem tatsächlichen Nutzungsverhalten übereinstimmt.

Unzufriedenheit dank Handy
Anhand dieser Daten haben die Forscher die Studienteilnehmer in Gruppen mit moderater, mittelmäßiger und intensiver Smartphone-Nutzung eingeteilt, die sich zum Teil signifikant unterschieden: „Wer das Handy weniger nutzt, ist zufriedener – und zwar sowohl mit seinen Arbeitstagen als auch mit den freien Tagen”, erklärte Martina Hartner-Tiefenthaler vom Institut für Managementwissenschaften der TU Wien. Dagegen würden sich intensive Smartphone-User weniger gut in ihre Arbeit vertiefen können, sich aber auch häufiger gelangweilt fühlen. Sie gaben häufiger an, an freien Tagen unter Zeitdruck und Stress gestanden zu haben, und seien öfter gereizt oder verärgert.

Doch das ist längst nicht das Hauptproblem – vor allem für die Wirtschaft. Denn die digitale, vernetzte, interaktive Arbeit geht zudem auch mit hohen Effizienzverlusten einher: Beschäftigte machen 30% mehr Überstunden als noch vor fünf Jahren, um ihr Tagwerk zu schaffen; die Produktivitätseinbußen steigen auf 30%. Zu diesem Ergebnis kommt eine groß angelegte Online-Studie der AKAD Hochschule Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Tempus GmbH, an heuer über 1.200 Angestellte, Entscheider und Selbstständige teilnahmen. Ergebnis der Studie: Weniger als die Hälfte aller Beschäftigten kann konzentriert arbeiten. Durch permanente Ablenkung haben 84 % den Eindruck, zu viel zu arbeiten, jedoch ohne dass es genügt.

Produktivität geringer
„Digitales, interaktives Arbeiten bedeutet, sich mit zahlreichen Informationen und Anforderungen gleichzeitig auseinanderzusetzen. Der Einzelne ist davon schnell überfordert und wird unzufrieden, weil er mit viel Arbeit nur wenig erreicht”, sagt Studienleiter Daniel Markgraf. „Gaben die Befragten in der Arbeitseffizienzstudie von AKAD und Tempus 2013 an, durchschnittlich sechs Überstunden pro Woche zu leisten, sind es nun bereits 7,5. Im Grunde sind wir zur 6-Tage-Woche zurückgekehrt”, bringt es der Professor für Marketing und Innovationsmanagement auf den Punkt. Tempus-Geschäftsführer Jürgen Kurz ergänzt: „Nach meiner Erfahrung nutzen die Menschen digitale Instrumente und Hilfsmittel viel zu wenig, um sich die Arbeit zu erleichtern. Die gestiegene Ineffizienz trotz der immer besser werdenden Technik und den mobilen Möglichkeiten macht die Mehrarbeit zunichte, die Produktivität sinkt ungeachtet aller Anstrengungen.”

Gesundheitliche Probleme
Die niederösterreichische Studie beobachtet zudem gesundheitliche Folgen: Intensive Handy-Nutzer haben signifikant häufiger chronische Nackenschmerzen. Andere Studien zeigen zudem, dass Augenerkrankungen zunehmen. Hartner-Tiefenthaler empfiehlt deshalb einen bewussten Umgang mit dem Smartphone, etwa die Festlegung von E-Mail- und Smartphone-freien Zeiten. Auch mit dem Arbeitgeber sollte man klären, welche Art von Erreichbarkeit erwartet wird, um Stress und Ärger zu reduzieren. Eine strikte Trennung von Beruf und Privatleben ist ihrer Meinung nach aber nicht unbedingt notwendig. „Manchmal ist die Organisation des Alltags einfacher, wenn Grenzen nicht zu strikt gezogen sind. Manche Leute berichten, dass sie die Freizeit besser genießen können, wenn sie noch eine wichtige Kleinigkeit erledigt haben”, sagt Hartner-Tiefenthaler.

Martin Rümmele