NWZ – Produktive Leere am Schreibtisch

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Aufräumen macht Büroarbeit um 20 Prozent effizienter – Traum-Fabrik Bad Boll im Eigenversuch

Die ruhigen Tage um den Jahreswechsel sind bestens geeignet, einmal klar Schiff auf dem Schreibtisch zu Machen. Auch die Bad Boller Traum-Fabrik ist ein Kandidat für professionelles Aufräumen.


Bad Boll. „Moment, ich schau’ kurz nach ...“ Oft wird aus dem Moment doch ein hektisches Suchen. Schlimmstenfalls bleibt es ohne Ergebnis. Spätestens dann ist es höchste Zeit, sich über die Organisation seines Schreibtisches Gedanken zu machen. Die macht sich auch Sven Maier, Inhaber der Schwäbischen Traum-Fabrik in Bad Boll, als er vom Büro-Kaizen hört. Er kennt das Hin- und Hergeschiebe von Papieren, unter denen sich der Kugelschreiber versteckt, mit dem er beim Telefonieren etwas notieren will. Und der Inhalt der Stapelschalen auf seinem Schreibtisch ist ihm nicht wirklich auf Anhieb präsent. Der Mittelständler kümmert sich als Chef auch um das Qualitätsmanagement und ahnt, dass seine Firma ein Kandidat für professionelles Aufräumen ist.

Maier liegt ganz richtig: Aufräum-Profi Jürgen Kurz, Geschäftsführer von Tempus-Consulting, empfiehlt, Veränderungen jederzeit anzugehen. Besonders gut eigneten sich aber die Wochen rund um den Jahreswechsel. Seinem Team einen Aufräumer von außen zuzumuten, ohne zu wissen, auf was er sich einlässt, ist allerdings nicht Maiers Ding. Der Bad Boller Experte für gesunden Schlaf macht sich selbst zum Versuchskaninchen, besucht ein Büro-Kaizen-Seminar.

Kaizen ist japanisch und bedeutet „zum Besseren ändern“. Der Geschäftsführer von Tempus-Consulting hat das Büro-Kaizen entwickelt. Auslöser waren Kundenbesuche: Tempus-Berater hatten erlebt, dass in der Produktion um jeden Cent gekämpft wird, während niemand die Prozesse in den Büros genauer anschaut.

Nach einer Studie des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IAO) zum „schlanken Büro“ verschwenden Büroarbeiter fast zehn Prozent ihrer Arbeitszeit durch „überflüssige oder fehlende Arbeitsmaterialien“ oder „ständiges Suchen nach dem richtigen Dokument in chaotischen Dateiverzeichnissen“. Fast 30 Prozent der Arbeitszeit würden in unprofessionell organisierten Büro vergeudet. Das sind mehr als 70 Tage pro Jahr. Ein Schreckensbefunden für Chefs.

Der Kaizen-Eigenversuch begeistert den Matratzenhersteller. Maier erlegt, dass er produktiver ist, wenn der Schreibtisch leer und das Büro klar organisiert ist. Schließlich räumt er Papieren, die er später lesen möchte, in ein eigenes Fach im Schrank oder Schreibtisch. Schon ist ein Drittel Papiere von seiner Arbeitsfläche verschwunden. Magazine und Zeitungen, von denen er sich nicht trennen kann, soll Maier in eine Kiste packen und auf den Speicher stellen. „Ist die Kiste nach einem halben Jahr immer noch ungeöffnet – wegwerfen“, rät Consultant und Buchautor Kurz. 20 Prozent mehr Effizienz verspricht der Aufräumer, weil man seine Sachen schneller findet und sich der Kopf mit der aktuellen Arbeit beschäftigt und nicht abgelenkt wird.

Nach dem Selbsttest holt Maier den Aufräum-Profi aus Giengen in seinen Betrieb. Er spricht mit ihm ab, dass der am Abend vor der Aktion unangemeldet durch die Büros läuft und Fotos macht. „Dabei soll niemand bloß gestellt werden. Aber ich will die ungeschminkte Schreibtischwahrheit dokumentieren.“ Tags darauf führt Kurz die Traum-Fabrik-Mitarbeiter. mit einem Spiel in die Aufräumaktion ein: Um die Wette müssen zwei von ihnen nach Anleitung ein DIN-A-4 Blatt falten, mit farbigen Linien versehen, zuschneiden, zusammenkleben, lochen und tackern. Einer bekommt einen wohlsortieren Materialien- und Werkzeugkoffer. Im Koffer des anderen das gleiche Equipment – allerding ist die Tesa-Rolle leer, der Tacker funktioniert nicht richtig, und zudem liegt alles kreuz und quer durcheinander.

Logisch, wer seine Aufgabe schneller erledigt. Der Experte fürs gut organisierte Büro sagt: „Alles hat einen Platz, hat seinen Platz.“ Stifte und Co. gehören in die oberste Schublade – am besten in einen Rollcontainer, in dem auch Tacker, Tesa und Konsorten ihren Platz finden. Alle Ablageschalen bis auf eine müssen vom Schreibtisch. Dort kommen nur aktuelle Unterlagen rein. Und die werden jeden Tag abgearbeitet oder ablegt. Laufende Projekte landen zum schnellen Zugriff klar gegliedert in Hängeordnern oder Fächermappen. Ganz wichtig ist die Beschriftung – schließlich soll auch die Vertretung sich ohne suchen zurecht finden.

„Am wichtigsten finde ich das Ausmisten und Wegwerfen, das hat was Befreiendes“, meint Steffen Wrona, der sich um die Warenbestellungen beim Schlafspezialisten kümmert. „Es ist schon beeindruckend, was wir ansammeln, ohne es wirklich zu brauchen.“ Wronas Schreibtisch ist jetzt ordentlicher. Und im Archiv ist wieder Platz. Zukünftig will sich der 33-Jährige mindestens einmal im Jahr die Zeit nehmen, Verzichtbares zu identifizieren und den Schredder zu füttern. „Eigentlich ist die Aufräumerei ziemlich simpel, man macht’s nur zu selten“, bekennt Wrona.


Evelyn Kessler