Schweiz am Sonntag – Digital aufgeräumt

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Von Manuela Specker

Herr Kurz, wie viele E-Mails befinden sich in Ihrem Posteingang?
So wenige, dass ich sie mit einem Blick erfassen kann. Ernsthaft, E-Mails haben vor vielen Jahren unsere Kommunikation revolutioniert und optimiert. Doch mittlerweile haben sie sich zu einem Zeitfresser und Motivationsräuber entwickelt. Schuld ist allerdings nicht die E-Mail an sich, sondern der ineffektive Umgang mit ihr. Oft wird der Posteingang als To-do-Liste missbraucht.

Wie schafft man Abhilfe?
Wie bei der Organisation von handfesten Unterlagen helfen einige Tricks dabei, auch im Posteingang wieder die Oberhand zu bekommen. Wenn eine E-Mail nur gesichtet wird, statt sie zu verarbeiten, bleibt sie im Posteingang. Die Folge: Der Posteingang „verstopft”. Der spätere Blick auf E-Mails im Posteingang, die schon geöffnet, aber noch nicht verabeitet wurden, kann Stress erzeugen. Das Verarbeiten ist eine Strategie, mit der ein Posteingang dauerhaft schlank oder auch leer gehalten werden kann. Die gute Nachricht ist, es gibt genau fünf Schritte der Verarbeitung: Löschen, weiterleiten, archivieren, bearbeiten oder terminieren. Geht man mit jeder E-Mail einen dieser Schritte, verschafft man sich einen Überblick und behält einen kühlen Kopf.

Gibt es die Möglichkeit, schon im Vorfeld daran zu arbeiten?
Ja, die gibt es. Die meisten Programme haben einen Regelassistenten. So kann man zum Beispiel Newsletter in einen gesonderten Ordner fliessen lassen. Das senkt die Masse im Posteingang schon etwas. So verringert sich auch der psychische Stress. Denn wie ein freier Schreibtisch gibt ein übersichtlicher Posteingang ein gutes Gefühl. Sofern Sie sich zahlreiche Newsletter schicken lassen oder an Diskussionsforen teilnehmen, legen Sie sich eine zweite E-Mail-Adresse zu. Ihre Hauptadresse bleibt dann von den sich daraus oft ergebenden Werbemails verschont.

Welche Situationen sind typisch dafür, dass sie „erdrückend” wirken?
Häufig sind es die Tage nach den Ferien. Über eine gewisse Zeit ist einiges aufgelaufen und macht die Erholung viel zu schnell zunichte. Es hilft, sich mit einem Kollegen abzusprechen, dass er das Postfach sichtet und bearbeitet, damit wir schon eine gewisse Struktur sehen, wenn wir zurückkommen. Oder aber man gibt sich einen Tag, an dem nur der Posteingang bearbeitet wird, und meldet sich bei Geschäftspartnern einen Tag später zurück.

Und im Alltag?
Im Alltag stressen uns E-Mails. Permanent checken wir den Eingang oder werden durch einen Signalton abgelenkt. Akustische und optische E-Mail-Empfangssignale zu deaktivieren, nimmt den Druck aus der Sache und hilft, dass unsere Konzentration nicht ständig unterbrochen wird. Das iglt auch für mobile Endgeräte, Tablet und Smartphones. Eine weitere Hilfestellung ist es, E-Mails mehrmals täglich in Blöcken aufzuarbeiten. So werden genaue Zeitfenster ausgemacht, in denen dann die E-Mails nach einem der fünf Schritte bearbeitet werden können.

Welche Herausfordernungen bringen Laptop und Co. noch mit sich?
Unstrukturierte Dateien. Egal ob kleines Team oder grosse Abteilung – Suchzeiten rauben wertvolle Zeit. Ablagestrukturen sind in vielen Unternehmen mit der Zeit entstanden und immer weiter gewachsen. Jeder speichert die Dokumente nach bestem Wissen und Gewissen, wo ihm dies am logischsten scheint. Doch was der eine Mitarbeiter für logisch hält, muss der nächste noch lange nicht verstehen oder sinnvoll finden. So entstehen über die Jahre doppelte Ablagesysteme und Unterordner, die mehr Fragen aufwerfen als helfen. Das Datenchaos ist progrmamiert. Es ist kein Geheimnis mehr, dass Dokumente ordentlich benannt werden müssen. Die Kür ist, dann noch eine einheitliche Struktur einzusetzen, feste Spielregeln zu formulieren und sie zu befolgen.

Klingt einfach.
Ist es aber nicht. Theorie und Praxis sind zwei verschiedene Welten. Unlängst haben wir gemeinsam mit der AKAD Hochschule in Leizig eine Studie zur Arbeitseffizienz durchgeführt. Neben dem Einsatz und der Auswirkung von Kommunikationsmitteln auf den Arbeitsalltag haben wir unsere Aufmerksamkeit auch auf den Zusammenhang zwischen Ordnung und Produktivität gelegt. Unser Studienergebnis hat ganz klar gezeigt, dass sie in direkter Verbindung stehen. Egal, ob es um den Posteingangordner oder die digitale Dokumentenablage geht.

ZUR PERSON
Jürgen Kurz gilt als „Aufräum-Experte”. Die Basis seines ersten Buches „Für immer aufgeräumt. Zwanzig Prozent mehr Effizienz im Büro” ist der Kaizen-Ansatz. Der Begriff Kaizen stammt aus dem Japanischen und meint einen pragmatischen Prozess ständiger Verbesserungen. Diesen Verbesserungsprozess übertrug Jürgen Kurz auf die Bürowelt und den administrativen Bereich. Was bei den Schreibtischen der Mitarbeiter anfing, hat er nun mit dem Buch „Für immer aufgeräumt – auch digital” (GABAL-Verlag) auf die digitalen Arbeitsplätze angewendet.