WirtschaftsWoche – Wo wir im Homeoffice unsere Zeit verschwenden

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Wer nicht ins Büro fährt, hilft zwar dabei, die Pandemie einzudämmen. Eine neue Studie zeigt jedoch die Nebenwirkungen der Heimarbeit: Wenig Produktivität und viel Stress. Das lässt sich ändern.

Einen Tag, nachdem der erste Corona-Lockdown verkündet und viele deutsche Büroarbeiter ins Homeoffice geschickt wurden, brach die Webseite von Jürgen Kurz fast zusammen. Mit seiner Firma Büro-Kaizen hilft er seit gut zwanzig Jahren Unternehmen dabei, ihre Arbeit besser zu organisieren. Der Ansturm auf seinen Onlineauftritt am 17. März des vergangenen Jahres sah er als Frühindikator dafür, dass sich viele Menschen darum sorgten, zuhause nicht effizient arbeiten zu können. Nach mehr als neun Monaten Anschauung weiß er: Die Sorgen waren berechtigt.

„Für die die virtuelle Zusammenarbeit gab es vorher schon kaum Regeln”, sagt Kurz. „Wenn die Mitarbeiter dann auch noch daheimsitzen und kaum noch kommunizieren, ist das der Supergau der Ineffizienz.” Er sieht eine Art Produktivitätsparadox im Homeoffice: Man spare zwar viel Zeit, wenn man nicht ins Büro fahre und könne sich vielleicht auch besser konzentrieren. „Aber das Verschwendungspotenzial ist exponentiell höher, wenn die Menschen zuhause arbeiten”, sagt Kurz.

Kaum Zeit für die eigentliche Arbeit

Was Jürgen Kurz beobachtet, unterstreicht der aktuelle „Bericht zur Anatomie der Arbeit 2021” von Asana, einem amerikanischen Hersteller von Arbeitsorganisationssoftware, der der WirtschaftsWoche vorab vorliegt. Mehr als 13.000 Wissensarbeiter weltweit und mehr als 2000 in Deutschland, die den Großteil ihrer Arbeit an einem Computer erledigen, wurden dazu befragt, wie sie ihre Zeit bei der Arbeit verbringen. Ihre Antworten sind besorgniserregend.

Fast 60 Prozent der Zeit wenden die Befragten für Arbeit auf, die nicht direkt mit einem Projekt oder einer Aufgabe zu tun hat. Arbeitnehmer könnten jede Woche 6 Stunden und 5 Minuten sparen, wenn die Abläufe im Unternehmen optimiert würden – umgerechnet auf ein Jahr entspricht das acht vollen Arbeitswochen. Alleine dreieinhalb Stunden pro Woche gingen für unnötige Besprechungen drauf. All das führe dazu, dass viele Wissensarbeiter in einer belastenden Situation arbeiten – 60 Prozent fühlten sich im vergangenen Jahr dem Burn-out nahe.

Entscheider stellt das vor eine schwierige Situation. Um die Pandemie einzudämmen, sollte jeder Büroarbeiter, dem das möglich ist, von zuhause aus arbeiten. Eine Untersuchung von Ökonomen der Universität Mannheim hat gezeigt, dass die Zahl der Neuinfektionen um vier bis acht Prozent sinkt, wenn die die Zahl der Arbeitnehmer im Homeoffice um ein Prozent steigt. Doch offenbar hat dieser Gewinn seinen Preis: Die Menschen arbeiten Zuhause länger, ineffizienter – und sind dadurch stärker psychisch belastet.

Jürgen Kurz kennt verschiedene Ursachen für die Ineffizienz und die daraus entstehende Mehrarbeit. Vor allem sei die Zusammenarbeit mit anderen schlecht organisiert. „Wenn man ohne Plan anfängt, in dezentralen Teams zu kommunizieren und Dinge zu speichern, entstehen Prozesse, die völlig unausgegoren sind”, so Kurz.

Fünf Stunden Doppelarbeit pro Woche

Eine Untergruppe kommuniziere in Microsoft Teams, eine andere auf Slack und wieder eine andere setze auf E-Mails. Dateien würden per Microsoft Sharepoint, Dropbox oder WeTransfer ausgetauscht werden. Einheitlich ist dabei selten etwas. „So kann es passieren, dass mehrere Kollegen die gleiche Arbeit doppelt machen”, so Kurz.

Das zeigt auch die Asana-Studie: Fast fünf Stunden pro Woche verbringen Menschen mit Arbeit, die schon von anderen erledigt wurde. Außerdem nutze jeder deutsche Wissensarbeiter täglich zehn verschiedene Anwendungen. 23 Mal pro Tag wird dazwischen gewechselt. Und jeder dieser Wechsel kostet Konzentration – und damit Produktivität. Die Lösung sieht Jürgen Kurz darin, klar aufzuschreiben, mit welcher Software man welche Aufgabe und welche Kommunikation erledigt.

Die Kommunikation scheint für viele Wissensarbeiter ein zweischneidiges Schwert: Einerseits klagen sie über zu viele Meetings, andererseits fühlen sich nur 13 Prozent der von Asana Befragten von ihren Arbeitgebern gesehen – was für zu wenig Austausch spricht. Jürgen Kurz sieht darin nicht unbedingt einen Widerspruch. „Für Führungskräfte ist es enorm wichtig, zu kommunizieren, ansprechbar zu sein und Nähe zu den Mitarbeitern zu schaffen, sonst hängen diese im Homeoffice in der Luft”, sagt der Berater. Im Projektmanagement seien persönliche Meetings dagegen selten hilfreich. „Die konkreten Ziele und Schritte dorthin sollte man nicht verbal, sondern über schriftliche Pläne steuern.”


Jan Guldner